küçük iskender: Notizen für Rimbaud
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I.

 

„Wer beim Gehen die Sonne im Rücken hat, fürchtet sogar den Schatten vor sich.“
Das ist der einzige Grund dafür, dass Dichter, die die Tradition in Trauergesängen beklagen und deren kleinmütige Poesie sich einzig aus dieser Tradition nährt, sich von neuen und das Ungewohnte wagenden Namen distanzieren. Sie meiden jede Revolution und jede Veränderung, denn sie sind Profiteure des Systems und haben Einiges zu verlieren. Das System dekoriert und beschützt sie und verhindert, dass sie in Vergessenheit geraten. Aber warum greift ihnen das System unter die Arme? Weil sie sich Themen widmen, die das System nicht in Frage stellen, und das Vakuum füllen, das die Sehnsucht nach Poesie im Alltag hervorruft. Sie revoltieren nicht gegen das System und lassen ihre Anpassung von ihm bescheinigen. Sie haben eine hierarchische, systemkonforme Kunstauffassung. Sie schreiben, ohne nach Abenteuer zu suchen, leben ohne Enthusiasmus und sterben heimtückisch. Du weißt das auch, zumindest hast du davon gehört, dass sie stets als Herde auftreten. Dieses Herdenverhalten ist eigentlich eine seelische Disposition – gekünstelt und widerlich, wie ein Gruppenfoto, vor dessen Aufnahme alle aufgeregt eine Stelle zu ergattern suchten und sie gegen andere verteidigten und auf dem alle in die Kamera blicken, so natürlich, wie eine Horde von Schakalen, die das gleiche Reh zerfleischen, ein unheimlicher Zustand von Freundschaft und Gemütlichkeit.

Schaue ihnen ins Gesicht, ganz besonders aber in die Augen: hinter ihren beängstigend selbstsicheren Blicken versuchen sie ihre Angst zu verstecken und ihrer Herr zu werden. Die Angst, nicht verstanden, ausgegrenzt und vergessen zu werden. Aber die Vergangenheit wird immer vergessen, Rimbaud!

Deren Leser stammen nicht aus dem Volk, sondern aus der höheren Gesellschaft. Ist es ein Zufall, dass sie ihre Überlieferung von Meister und Lehrling pflegen, dass sie sie in eine (wissenschaftliche) Disziplin pressen? Nein. Denn sie sind aristokratisch und Experten im Intrigieren: wie Travesties der Nacht, zu bestimmten Stunden des Tages emsig bei der Arbeit, wie es die Tradition verlangt, ernst und diskret, aber außerhalb dieser Zeiten sind sie Schwarze Männer. Insbesondere sind sie zu schwach und ängstlich, um zuzugestehen, dass sie Faschisten sind. Sie leben wie ein großer Fehler, eine Korrektur, der Naivität der Jugend verdanken sie, von ihrem Ruhm zu zehren und für die Nachwelt erhalten zu bleiben. Nicht in der Lage, einen neuen Autor zu entdecken, schaffen sie einen nach dem eigenen Verstand. Ist es nicht verwunderlich, wenn ein Traditionalist, der von dem Islam Hilfe erhofft, einen jungen Dichter aus Militärkreisen protegiert, oder fällt es niemandem auf, wenn ein Militärfürst, der nichts außer den eigenen Stand respektiert, gleichzeitig auf traditionelle (militärische) Disziplin setzt? Welchen Weg sollte man einschlagen, wenn für die Literatur, insbesondere für die Poesie, Polizeiwachen errichtet werden, zum Genuss ihrer Erschaffer? Es wäre zu naiv, darauf zu warten, dass sie von allein allmählich verschwinden. Schonungslose Kritik ist am Naheliegendsten. Sich darüber lustig zu machen, dürfte dagegen am vergnüglichsten sein. Nun, ist nicht einer von denen, der mal diese Worte in die Welt setzte? „Ich möchte der geist- und reizlosen, kalten Literatur einen (neuen) Schliff, eine neue Sensibilität verleihen.“ Ja, sie wollen auch, dass wir uns über sie lustig machen, Rimbaud!

 

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